Albaniens Bunker und mein entschwundener Kommunismus
Vor einigen Jahren, als ich mich noch selbstbewusst wie selbstverständlich in selbsterklärt linken Kreisen bewegte, sagte ich stets, ich sei Kommunist. Das alles ist fast wie von selbst verschwunden.
Von Albaniens kommunistischer Vergangenheit zeugen bis heute und an fast jeder Ecke die Reste von Bunkern, die Enver Hoxha in den 1960er bis 1980er-Jahren der zunehmenden und schließlich totalen Isolation des Landes flächendeckend errichten ließ. Wie senkrecht vergrabene Eier ragen sie an allen möglichen und unmöglichen Orten empor: 5,7 Bunker sollen es auf den Quadratkilometer sein.
Hoxha baute genug Bunker, um die gesamte Bevölkerung Albaniens vor einem wahlweise US-amerikanischen, sowjetischen, jugoslawischen, europäischen oder chinesischem Angriff zu schützen: Die Gefahr lauerte aus allen Richtungen, sie lag förmlich in der Luft. Mangelnde Fürsorge lässt sich zumindest aus diesem Ausmaß betongewordenen Schutzes nicht ableiten. Übergriffige Fürsorge hingegen schon. Grund für meine Entwicklung vom vermeintlichen zum ehemaligen Kommunisten war sinnbildlich auch nicht eine zu geringe Fürsorge, sondern viel mehr eine deutlich zu weit gehende und vor allem vermeintliche Fürsorge.
Vom Gaslighting der Guten.
Spätestens die Corona-Jahre haben mir schmerzlich beigebracht, dass auch Moralismus Totalitarismus ist und das peinliche Verhalten der deutschen sozialistischen oder kommunistischen Parteien in dieser Zeit - wenigstens ansatzweise eine Ausnahme bildete die DKP - wirkten wie ein Molotow-Cocktail auf mein linkes Selbstverständnis. Im Abstrakten mag diese Idee die richtige sein, im Konkreten wird sie all jene zum Opfer machen, die nicht einverstanden sind. Was wenn nicht Moral trieb die Zeugen Coronas ins Totalitäre? Was, wenn nicht das Gefühl, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, sorgte für einen immer größer werdenden blinden Fleck? Eine Politik, die sich den Begriff Solidarität auf die Fahnen geschrieben hatte, spaltete weltweit Gesellschaften in gut und böse. Von linker Seite kamen in dieser Zeit hierzulande die schlimmsten und extremsten Vorstöße bis hin zur wahlweise idiotischen oder faschistoiden Verherrlichung einer Zero-Covid-Strategie, deren Auswüchse - sofern man sie wahrnehmen wollte - in den nächtlichen Verzweiflungsschreien und Balkonstürzen monatelang in Shanghai eingepferchter Menschen widerhallten. Zu den hiesigen Auswirkungen dieser diffamierenden, bewegungsgleichen weil gesellschaftsübergreifenden und Menschen in ihrer Angst ergreifenden Politik sei traurig auf den Selbstmord von Clemens Arvay vor einigen Wochen verwiesen.
Alles gegen den unsichtbaren Feind und die unklare, aber allgegenwärtige Bedrohung. Wir schützen uns mit allem, was wir haben vor einem Virus und brandmarken all jene, die sich nicht verstecken wollen, die sich stattdessen noch erdreisten, Fragen zu haben. Fragen, die erst gelinde gesagt verleumdet und dann mit Verzögerung auf wundersame Weise in diesen Tagen einen Weg in den Mainstream gefunden haben. Ein Mainstream, der plötzlich wie verspätet einen auf kritisch macht, derweil die neue Methode des Gut und Böse, des Wir und Die, sich weiter, bloß andere Fragen betreffend etabliert.
Kurzum: Ein Grauen furchtbarster Morgenröte, das wir ebenfalls in chinesischem Ausmaß hätten erleben können, wenn jener, sich selbst als Humanisten wie Antifaschisten deklarierende Teil der deutschen Linken sich vollends durchgesetzt hätte. Glück im Unglück - und nicht zuletzt Verdienst all jener, die ihre Fragen trotz aller Diffamierung artikuliert und auf die Straße getragen haben.
Zurück nach Albanien und einem anderen, nicht kurz erprobten, sondern sich über Jahre aus den doch allerbesten Absichten entwickelten und über die folgenden Jahrzehnte etablierten Grauen, ebenfalls dem Glauben an die eigene moralische Unfehlbarkeit entwachsen.
An meinem letzten Nachmittag in Tirana habe ich einen dieser unzähligen Bunker besucht, der unweit des Innenministeriums als BunkArt2 zum Museum ausgebaut worden ist. Aus dem rauschenden Feierabendverkehr geht es einige Meter nach unten und von dort durch enge Gänge. Links wie rechts eröffnen sich Kammern, die nur ungern betreten werden, weil sie detailliert die Methoden des damaligen Regimes schildern. Relativ harmlose Beispiele, wie etwa das Einreiseverbot langhaariger Männer und deren Zwangsrasur am Flughafen oder Bahnhof, erschreckend detaillierte Einblicke in die Verhör- und Spitzelmethoden der Geheimpolizei Seguritas und schließlich Eindrücke, die das Blut in den Adern gefrieren lassen: Von den Decken hängende und sorgsam ausgefüllte Listen von Exekutionen, Biografien von Familien, die erst Bauern und schließlich in Sippenhaft geratene Staatsfeinde waren. Gepolsterte Uniformen, mit denen die Grenzer die Wachhunde auf ihre Bissfestigkeit hin trainierten. Mitschnitte von Verhören und Folter verängstigter Menschen im Angesicht einer dunklen Übermacht.
Als ich den Bunker nach zwei Stunden wieder verlasse, ist es dunkel geworden in Tirana. Links patrouilliert mit stoischem Blick ein Soldat vor dem Innenministerium, auf der anderen Straßenseite rekrutiert die albanische Armee im Auftrag der NATO junges Fleisch. Ein Container, blutrot beleuchtet, lockt mit heldenhaften Parolen jene jungen Menschen an, die andersweitig kaum Geld verdienen können.
Ich möchte auf wackeligen Knien kotzen, direkt vor das Ministerium, direkt vor die Füße der Patrouille. Der westliche Imperialismus - ebenfalls Meister des Moralismus - war in seiner verdeckt bis verlogenen Brutalität lange Zeit Fundament meines Kommunismus, dieser war letztlich der Versuch maximaler Opposition.
Mittlerweile denke ich, dass es eines denkenden Menschen unwürdig ist, sich für eine jener Seiten zu entscheiden oder sich auch nur irgendwo dazwischen zu verorten. Und dass es großes wie sorgsam zu behütendes Glück ist, dies eben nicht tun zu müssen.