È primavera: Verliebt in Palermo.
Che confusione...hallt es durch meine Hirnrinden, denke ich an meine acht Tage in Palermo. So intensiv, dass sich meine Lippen beim Schreiben dieser Zeilen unweigerlich mitbewegen.
Sarà perché ti amo! Dieser italienische Pop-Schlager aus den 80er-Jahren hat es mir in seiner durchaus aufdringlich zu nennenden Weise ähnlich angetan, wie es das Chaos Palermos vermochte. Als morbide Schönheit ist diese uralte Stadt wohl tausendmal bezeichnet worden. Nun denn, hier folgt Zuschreibung tausendundeins: Oh, du morbide Schönheit Palermo, ich zergehe eiskugelgleich in deinem nicht polierten und nicht zu polierenden Glanz.
Als der vom schicken wie anonymen Mailand gestartete Nachtzug nach knapp 30 Stunden mit Palermo Centrale sein Ziel erreicht, bin ich einer seiner letzten Passagiere und mit meinem mittlerweile quasi persönlichen Schaffner fast per Du. Er hilft mir mit einer Träne im Knopfloch beim Aussteigen, was angesichts der Zugtüren, die für Mailänder Magermodels geschaffen zu scheinen, auch wirklich nötig ist. Schwerbepackt, zwei Taschen um die Schultern, in der linken Hand den Gitarrenkoffer, der ein Vielfaches seines Inhalts wiegt, rechts ein Tchibo-Rollkoffer, der bald holpernd Bekanntschaft mit sizilianischer Straßenbaukunst macht. Alles tragend: Ich selber, bei kaum 5 Grad im kalten Mailand eingestiegen, Stunden davor das schneematschige München verlassend und entsprechend reichlich dick eingepackt. Auf den ersten sizilianischen Metern hingegen bald schwitzend - und ehrlich gesagt umgehend komplett überfordert. Kommt kein Auto, dann kommt ein Mofa. Und kommen zwei Autos, kommen vier Mofas. Schon auf dem Bahnsteig. Irgendwie so.
Eine kalte Dusche und ein wenig Cannabis später: Ich strotze trotz all des Stresses und der Strapazen einer langen Reise vor Lust auf diese Stadt. Abends bin ich mit äußerst lieben Menschen zum Essen verabredet und schon der Weg dorthin - quer durch die kleinen, verschlungenen und an jeder noch so heruntergekommenen Ecke die Schönheit einer uralten Stadt atmenden Gassen - macht mich sprachlos. Im Lokal angekommen, einstmals Buchhandlung und diesen Charme nun wie aus Versehen mit erlesener Kulinarik kombinierend, langt es gerade zu einem knappen Ciao und zu eben jener einleitenden Binsenweisheit: Morbide Schönheit. Beim ersten Happen des harmlos als Pasta Ragout bezeichneten Mahls versinken mir dann schon wieder alle Vokabeln tief im Innern meiner Eingeweide.
È un'emozione che cresce piano piano.
Der nächste Tag. Der erste wirkliche Tag. Zwei Espressi, eine Kippe und raus in das Chaos, jetzt aber bei Tageslicht. Auf vier Autos kommen nun 16 Roller. Pro Sekunde. Die willkürlich und ohne jedes Lot versinkenden Bürgersteige sind gleichzeitig ein riesiges Freiluft-Kaufhaus, die Stadt ein Schmelztiegel der Kulturen. Die feilgebotene Ware reicht von lebendig bis zum Schuh ohne Partner. VHS-Kassetten kuscheln mit Transistorradios und wecken in Palermo ohnehin nur ein Nickerchen machende nostalgische Gefühle. Ansonten natürlich: Haufenweise Sonnenbrillen. Dazwischen bergeweise frisches Obst und Gemüse, dampfende Artischocken in riesigen blechernen Töpfen, Blätterteighaufen bis zum Rand gefüllt mit den leckersten Dingen dieser Erde. Nach knapp 100 Metern laufe ich fast in das Maul eines Schwertfisches, der wie eine Trophäe an einem der unzähligen Zugangswege zum Mercato di Ballaro hängt. Kaum habe ich den Fischkopf bestaunt, ist er auch schon verkauft. Alles was ich fotografiere, schreit mir förmlich entgegen: Ich bin keine Dekoration, ich bin echt!
Was der Verkehr auf den Straßen, ist das Gedränge der Schultern in den Gassen, durch die dennoch unentwegt Motorroller um Rollatoren kurven, waghalsig wie routiniert. Sei Teil des Ganzen und gehe drin auf - oder weigere dich und gehe drin unter. Für Palermo unterschreibe ich diese Binsenweisheit, für das bürgerliche Leben hingegen weise ich sie weit von mir und verweise stattdessen auf diese scheinbar gänzlich (im deutschen Sinne) unbürgerliche Stadt, dieses verschlungene und von Leben nur so strotzende Tohuwabohu: Io canto al ritmo del dolce tuo respiro! Irgendwann ist mir nach einer Pause. Ich bestelle in einer Mischung aus Lotterieverkauf und Cafè einen Espresso und lasse mich in einer sagenhaft prallen Januarsonne nieder. Beobachte den Trubel, hektisch Notizen kritzelnd, weil die Eindrücke nur so prasseln.
Im Rückblick der Erinnerung bleibt Palermo mehr ein Gefühl, eher ein fieberhafter Zustand als etwas konkret Beschreibbares. Einzelne Fragmente flackern auf: Gegenüber in der ersten Etage öffnet sich die Holztür eines Balkons. Heraus tritt eine Frau im weißen Kittel, das Stetoskop um den schlanken Hals geschlungen fingert sie ihre Zigaretten heraus und raucht gierig wie stilvoll, Wölkchen gegen die Sonne pustend. Fast wünschte ich, ich wäre krank. Dreimal eilig dran gezogen fliegt die Kippe auf die Straße und Sgn. Dottoressa verschwindet wieder in der Praxis, möglicherweise ein einsames Raucherbein behandelnd, für das sich in dieser Stadt sicher bald ein gebrauchter wie brauchbarer einzelner Schuh findet.
Der übernächste Tag: Langsam kenne ich mich aus, zwischen Hafen und Kathedrale, zwischen Quattro Gatti und dem dazwischen. Es ist Samstag und ich tiger durch die Stadt, immer einen Weg nehmend, den ich bislang noch nicht genommen habe. Das Chaos aus Rollern und Autos gehorcht einem Rhythmus, den ich mittlerweile beherrsche. Was mir am ersten Tag lebensmüde erschien, geschieht nun mit einer anarchoballettgleichen Eleganz: Schlängel dich durch, wer nicht improvisieren kann, der wird in seiner Vorsicht überfahren, wer hingegen Teil des pulsierenden Rhythmus wird, dem stehen alle tausend Schutzengel und die zigmillionen Madonnen dieser Stadt zur Seite. Bald schwinden die Touristen, verschwinden die Verkaufsstände unter Planen, bald häufen sich Müllberge, es weicht das Tageslicht und spätestens die ora azzura taucht diese Stadt in ihren wahren Schein. Nachts sind alle Katzen grau - heißt es. Nachts verwandelt sich Palermo hingegen in eine bläulich-düstere und gleichzeitig heimelig gelblich leuchtende Märchenwelt, die zwar an Farbe verliert, aber an optischer Intensität gewinnt. Keine laute Musik, keine Vergnügen plärrenden Nachtclubs, aber immer sattes wie hungriges Leben, das aus den Fenstern und Hinterhöfen in die Gassen dringt. Keine Ecke wie die andere und doch alles aus einem Guss, den der Zufall und die Geschichte ohne jede Strenge fabriziert haben.
Per far confusione fuori e dentro di te.
An jeder Ecke eine Barockes strotzende Kirche, die in jeder anderen Stadt auf den ersten Seiten der Reiseführern stünde. Verschlungene Gassen führen mich immer tiefer in die heiligen Eingeweide dieser Stadt, es riecht nach Holzkohle, Fisch und Fleisch. Ich folge der Nase und stehe plötzlich in einer Szenerie wie aus einem ungesehenen Film. Schon wieder Leben, prall gefüllte Hinterhöfe, knapp Pubertierende, die mich bedrängend alle Drogen dieser Welt anbieten. Mein Haschisch habe ich zur Enttäuschung der zahlreichen kleineren Gangs bereits auf dem Fischmarkt gekauft, von allem anderen lasse ich zur nochmaligen Enttäuschung der Anbietenden die Finger. Mein Erscheinen in diesem Viertel wie mein unsicheres Durchschreiten begleiten signalartige Pfiffe. Ein wenig paranoid bemühe ich mich, freundlich wie gesprächig zu bleiben. Mit den ersten Schritten in diese Szenerie habe ich mich vorsichtshalber ohnehin schon damit abgefunden, nun wohl als relativ fetter Fisch nach guter alter Art ausgeräumt zu werden. Ma dimmi dove siamo!
Aber nichts dergleichen geschieht, das Kopfsteinpflaster macht einen geschlossenen Knick und schon stehe ich wieder mitten im touristischen Palermo, sofern es dies wirklich gibt. Kaum eine Kette, kaum ein Franchise-Scheiß ist hier zu sehen, stattdessen exorbitant viele Buchhandlungen, Antiquariate, kleine Restaurants, die erst gegen Mitternacht aus allen Nähten platzen und bis dahin hungrigen Touristen ihre kalte Küche zeigen. Hier und da finden sich Aufkleber, die vom lokalen Engagement gegen die Mafia zeugen, während an jeder Ecke Devotionalien des Paten feilgeboten werden.
Am vorletzten Tag, meine Streifzüge werden immer ausgedehnter, stehe ich an einer Art Autobahn, die den riesigen Kern Palermos umrundet. Hier und da zeugen an Laternen befestigte Blumen von schlimmeren Zwischenfällen, hier ist der Verkehr kein freundlich hupendes Chaos ausgepräger Fahrkünste mehr, hier ist er das, was er in fast allen Ballungsgebieten ist: Des Menschen Wolf. Hinter der Autobahn über einen guten halben Kilometer rostiger Zaun, Stacheldraht, Mauern und Wachtürme. Gestatten? Grand Hotel Palermo, so der Name des Volksmundes für den Knast, der noch immer einige Mafiagrößen beherbergt. Noch weiter raus aus der Stadt, ärmere Viertel, flatternde Wäsche, stürmisches Mittelmeer, Fische, die gleich in den Kochtopf springen, fußballspielende Kinder und streunende Katzen. Normalerweise mag ich es, große Städte Richtung Randgebiete zu verlassen. Hier kehre ich bald um. Zurück in diese sagenhafte Stadt und wieder mitten rein in den Fischkopf.
O canto al ritmo del dolce tuo respiro.