Februar 2023: Pantelleria
Von einem, der auszog, der Kälte zu entfliehen - und sich dann warm anziehen konnte.
Pantelleria, Februar 2023
Von einem, der auszog, der Kälte zu entfliehen und sich dann warm anziehen konnte.
Die Fähre verlässt den Hafen von Trapani gegen 23 Uhr und sticht ins schwarze Mittelmeer. Ich stehe im beißenden Dieselrauch am Heck und sehe die Lichter und Konturen Siziliens langsam kleiner werden. Die letzte Woche habe ich mich mittelschwer in Palermo verliebt, nun steht die Reise nach Pantelleria an, einer kleinen Insel nordwestlich von Lampedusa, der tunesischen Küste näher als der sizilianischen. Dort habe ich mir für einen Monat einen Dammuso gemietet, ein inseltypisches Haus, gemauert aus dicken Vulkangesteinen, besonders charakteristisch sind die Kuppeln, die aus jedem Raum aufragen und in den heißen Sommermonaten einerseits für eine gute Luftzirkulation sorgen und andererseits den wenigen Regen die Kuppeln hinab in die hauseigenen Zisternen leiten. Ansonsten - so meine knappen Recherchen - ist Pantelleria für Kapern, Oliven und Wein berühmt, im Sommer beherbergt es wohlhabende Gäste. Und im Winter halt abgehalfterte Liedermacher.
Die siebenstündige Fährfahrt verläuft ein wenig schaukelig, die meisten der anderen Passagiere waren klüger als ich und haben sich Luftmatratzen mitgebracht, derweil ich versuche, es mir auf meinem Sitz gemütlich zu machen. Gleich vor mir steht ein Getränkeautomat, der erstaunlicherweise sehr guten Espresso kocht und mich entsprechend bei Laune hält. Es ist noch dunkel, als wir in Pantelleria - so auch der Name der Inselhauptstadt - einlaufen. Während ich mir unweit der Promenade ein Croissant und einen Cappucino einverleibe, graut der Morgen in dunklen Farben langsam über dem Mittelmeer. Die Mutter des Vermieters holt mich schließlich in einem alten türkisen Fiat Panda ab und kurvt die engen Straßen in Richtung Mueggen, gut 15 Kilometer auf einer langsam erwachenden Insel, die sofort an Irland erinnert. Schroff, grün und gar nicht mal so warm wie erhofft. Als wir am Dammuso ankommen, schiebe ich es auf meine Müdigkeit, dass ich kaum einen Temperaturunterschied zwischen drinnen und draußen empfinden kann, lege mich alsbald ins Bett und erwache erst am Nachmittag wieder. Dampfwolken strömen aus meinem Mund, als stünde das Bett im Freien. Draußen wiederum scheint die Sonne, in der ich mich weiter ausruhe. Vor mir ein Panoramablick auf den östlichen Teil der Insel, hinter mir der Montagna Grande, mit knapp 900 Metern die höchste Erhebnung Pantellerias, die nächsten Nachbarn gut 100 Meter entfernt.
Hier lässt es sich leben, hier lässt es sich vor allem Gitarre spielen, ohne irgendjemanden zu behelligen. Gegen halb vier verschwindet die Sonne schließlich hinter dem Montagna Grande, Fallwinde ziehen auf und es wird schlagartig frisch. Ich beschließe, es mir drinnen gemütlich zu machen und suche den in der Anzeige aufgeführten Kamin des Dammuso. Schließlich finde ich ihn unter- wie außerhalb des Hauses. Eine schlechte Position für einen dampfwolkenhauchenden Touristen, der eigentlich der deutschen Kälte entfliehen wollte. In den kommenden zwei Tagen gelingt es mir mittels dutzender Kerzen, zumindest einige Quadratmeter für einige Stunden aufzuheizen. Bereits morgens - wenn ich mich aus den warmen Federn erhebe - ziehe ich mir mehrere Lagen Klamotten nur für den Weg in die Küche an. Mit dem ersten Kaffee warte ich sehnsüchtig auf das Erscheinen der Sonne, längst gedanklich damit beschäftigt, wie der Raum effizienter, ach scheiß auf effizient, wie das Haus überhaupt zu beheizen ist. Unten im Dorf, eine gute halbe Stunde Fußmarsch entfernt, habe ich die letzten Teelichter gekauft. Es bleiben nur noch Grablichter, die ich ein wenig schaurig finde und überdies bald zu einem Kratzen im Hals führen. Schließlich entwickel ich den Plan, den Kamin zu befeuern und einige unterschiedlich große Vulkansteine drinnen zu erhitzen. Ich komme mir recht schlau und urtümlich vor. Die Steine bugsiere ich in einen großen Topf, den ich unter dem großen Tisch platziere. Wenn ich meine Füße an die improvisierte Heizung halte, werden diese bald heiß, der Rest des Körpers und vor allem des Raumes weigert sich beständig, sich auch nur annähernd Richtung 14 Grad Celsius zu bewegen.
Die dicken Mauern lachen mich aus und von den fünf Meter hohen Kuppeln widerhallt das Lachen: Dies ist kein Haus für den Winter, kleiner Mann, der der Kälte entfliehen wollte. In den nächsten Tagen wurde es noch schlimmer. Ein dickes Tief zog mehrere Tage über Pantelleria, entwickelte sich über Malta zum Zyklon weiter und kehrte in Ausläufern mehrfach zurück. Das eidechsengleiche Aufwärmen in der Sonne fiel flach, stattdessen nun den ganzen Tag Kälte und Nässe. Die wenigen Grad, die ich die dicken Mauern bislang erwärmen konnte, entfleuchen mit dem pfeifenden Mistral, ich gestehe, am Arsch zu sein und beschließe, die nächsten Tage - bis am Sonntag wieder vorsichtig Sonnenschein angesagt ist - so gut es geht im Bett zu verbringen. Den eiskalten Steinboden lege ich mit dicken Wolldecken aus, mir selbst bastel ich mit einem Handtuch einen Turban. Irgendwann meldet sich der Vermieter per SMS und fragt, ob alles in Ordnung ist. Ich lobe die Baukunst des Hauses und die traumhafte Lage, gestehe dann, dass mir schweinekalt ist. Das seit Monaten leer stehende Haus und für die Jahreszeit zu kühle Temperaturen kombinierten sich erschwerend mit Knochen, die bis kurz vor Weihnachten kanarische 25 Grad Celsius gewöhnt waren und die sich auch beim Abstecher über die Festtage in Deutschland noch nicht wieder an so etwas wie Kälte gewöhnen konnten oder wollten. So träume ich von La Gomera, als sich das Klappern der Fensterläden plötzlich in ein Klopfen verwandelt, es folgen Rufe: Ciao, ciao. Ich erhebe mich, zwänge mich aus dem Bett und in einen um drei Schichten erweiterten Bademantel, rücke meinen Turban gerade und öffne die Tür. Draußen steht die alte Mutter des Vermieters, in ihrer Begleitung ein jüngerer Mann, dessen Grinsen sich bei meinem Anblick sofort verstärkt. In seiner Hand eine kleine Elektroheizung. Die Rettung.
Ich bitte herein und spüre die Augen der alten Frau ungläubig durch den Raum fliegen und schließlich auf mir landen. Auf dem Boden sorgsam ausgelegt die gefundenen Decken, die Durchgänge zwischen den Räumen mit weiteren Decken verhangen, unter dem Tisch der große Kochtopf, bis zum Rand gefüllt mit schwarzem Gestein, geschätzt 15 Grablichter stehen strategisch verteilt im Raum. Und vor ihr stehe schließlich Ich. Zugegeben: Ich sehe in meinem Zwiebeloutfit recht seltsam aus und möglicherweise ist auch der Turban verrutscht, jedenfalls schaut die gute Frau leicht irritiert. Im folgenden ist das Verhältnis zwischen Mieter und Vermietern belastet. Der Sohn der Mutter, der als italienischer Marine-Soldat irgendwo vor Ägypten herumtingelt, ist in großer Sorge ob des Stromverbrauchs der Heizung. Die Mutter in Sorge um ihre Wolldecken auf dem Fußboden.
Ich gehe bereitwillig wie freundlich mit 100 € in Vorleistung für den zusätzlichen Strom - auf Pantelleria kostet die Kilowattstunde 70 Cent - und fühle mich trotz der Rettung irgendwie nicht wahrgenommen. Komme mir vor wie ein Pauschaltourist mit unverschämten Sonderwünschen. Sehe die alte Frau und ihre Begleitung schon beim Betreten augenblicklich frösteln, vermerkte aber nichts vom naheliegenden Gedankensprung, dass sich hier gerade jemand nicht nur kurz aufhält, sondern für gar nicht mal so wenig Geld lebt. Und dabei mit Vorliebe gesund bleiben möchte. Ich frage mich, ob sie ein altes, vielleicht von den Römern kultiviertes Vorurteil pflegen, nach denen die Barbaren jenseits der Alpen stark beharrt wie splitterfasernackt im Winter mit dem Schnee kuscheln. Es ist nicht so, als würde ich mich anstellen. Unten im Dorf sitzen die Verkäuferinnen im Supermarkt noch dicker eingemummelt hinter ihren Kassen, wehklagend und bibbernd, zwischen den Beinen mit heißem Wasser gefüllte PET-Flaschen. Kaum jemand ist draußen zu sehen, alle sitzen vor ihren Heizkörpern, nur ich trotze dem Wetter, um mich ein wenig durch Bewegung aufzuwärmen. Die wenigen bewohnten Dammusi in der näheren Umgebung haben ihren Kamin allesamt innen, neidisch blicke ich beim Vorübergehen hinein und fühle mich wie das Mädchen mit den Streichhölzern. Aber immerhin: Mit der sündhaft teuren Elektroheizung und dem sich nach fünf Tagen tatsächlich stetig bessernden Wetter endet der Drang um Selbsterhaltung und es beginnt das, was man Urlaub nennt. Alle drei Tage kommt die Mutter des Vermieters beauftragt von ihrem mir Sorge erfüllten Sohn in ihrem Panda hochgefahren, kontrolliert recht mürrisch den Stromverbrauch und linst nach innen. Die Decken sind längst wieder in der dicken Holztruhe, die Kerzen auf ein romantisches Maß reduziert und ich trage auch keinen Turban mehr, lobe stattdessen das schöne Wetter und bleibe freundlich, verschweige auch in der späteren Bewertung jegliche kühleren Umstände, aber so richtig warm wird das Verhältnis nicht mehr. Zum Ende meines Aufenthalts bekomme ich eine Email aus Ägypten: Man sei sehr enttäuscht von mir, betont den Missbrauch der Decken und des Kochtopfs und beklagte Rußreste an den Wänden. Gut, mag sein, aber ich staune und frage mich, wie sie sich das vorgestellt haben. Dass der menschliche Selbsterhaltungstrieb seinen bürgerlichen Manieren unterliegt? Egal. Die Insel Pantelleria ist wunderschön, der Aufenthalt wird mir in entsprechend ungetrübter Erinnerung bleiben und ein Stückchen schlauer bin ich auch schon wieder geworden. Dazu und über diese Insel aber an anderer Stelle mehr.