Tirana 2/3: Im Ernst
Im Ernst. Diese Stadt ist so hässlich, dass ich mich bei jedem Foto, das ich mache, schäme. Es hat etwas Indiskretes, geradezu Gaffendes auf einen fürchterlichen Verkehrsunfall.
06. März, nachmittags
Neoklassizistischer Protz, kommunistischer Gleichmachbeton, fürchterliche Farbkleckse, die dem Stein gewordenen Grauen verzweifelt wie ungeschickt einen Hauch von Lebensfreude verleihen wollen. Überschminkte traurige Augen, überall grassiert ein Fetisch für westliche Glitzermarken. Jeder Spaziergang gleicht einem epileptischen Anfall inmitten des röhrenden Verkehrs, der sich wie ein riesiges Monster durch jeden noch so kleinen Winkel dieser Stadt wälzt. Ich denke an Pacman und stehe atemlos zwischen Luxkuskarossen, deren Fahrer ihre Gleichgültigkeit hinter fetten Sonnenbrillen verbergen. Sie thronen über der Mehrheut der Fahrzeuge: ausgemusterte, weil völlig verrostete Westimporte.
Es ist nicht die Armut, die diese Stadt so abstoßend macht, im Gegenteil: Kaum verlässt man die zentralen Verkehrsachsen und verliert sich in ärmeren Vierteln, kommt Abwechslung auf, eigenwillig Gebautes wie eigenwillig Ergrautes, für die Farbe sorgen hier nicht Pinsel und Eimer im Namen der Fröhlichkeit, sondern flatternde Wäsche der Notwendigkeit. Was diese Stadt an ihren Knotenpunkten für mein Empfinden so abstoßend macht, ist vielmehr die monotone Mixtur des Nacheiferns in ihrer brutalen Rücksichtslosigkeit. Für die Zerstörung einer Stadt braucht es keinen Krieg, das erledigt auch eine schizoide Stadtplanung. Vollverglaste Prunkbauten, alte und neue Betongerippe, darunter ducken sich ab und an die Reste kleiner, älterer Häuser, offensichtlich dem Verfall preisgegeben und zur Krönung ihres würdelosen Siechtums sind auch sie mit den Logos und Schriftzügen westlicher Marken belastet.
Luxus, Gold, Noble, Elegance - eines dieser Worte blinkt immer und in jedem Blickwinkel, kaum ein Kaffeehaus, das sich nicht als Lounge bezeichnet. Mir ist schwummrig, ich lasse mich in einem Park nieder, der sich zu einem Viertel als Phantasialand definiert. Im Hintergrund türmen sich verschämt die Berge, darüber das strahlende Blau. Und in eben jenen Hintergrund zieht es mich, heraus aus diesem kaum zu übersehenden Unglücksbild, heraus aus dieser grellgrauen Kakophonie aus Totalitarismus und totalem Ausverkauf. Es ist nicht schön, sowas zu sehen, es ist nicht schön, sowas zu schreiben. Aber wahrscheinlich ist es wichtig, will man die Auswüchse des American Dream in aller Abstraktheit und Albtraumhaftigkeit wirklich begreifen.
07. März, mittags
Mittlerweile bin ich vollends auf Katastrophentourismus gemünzt. Ich arbeite ein wenig und beschließe dann, zum Zoo von Tirana zu laufen, der einen internationalen Ruf als Tierknast genießt. Die Route sieht einfach aus, immer geradeaus, parallel zur Autobahn, dann unter dieser durch und schon soll da der Zoo sein. Bald wird der Verkehr weniger, auf den großen Wiesen zwischen Plattenbauten grasen Kühe, Hundekot weicht Eselskötteln, die Entwicklung der Strecke gefällt mir, birgt nur ein Problem: Ich habe mich mal wieder verlaufen. Hier draußen schauen mich die Leute noch fremder an, sie starren förmlich, nicht unfreundlich. Irgendwan kehre ich um und orientiere mich nun an einer anderen Schnellstraße, das Starren wird weniger, dafür die Blicke der Vorbeihastenden wieder leerer. Mittlerweile bin ich schöne Eindrücke derart entwöhnt, dass mir alles, was nicht auf den ersten Blick allergische Reaktionen hervorruft, automatisch als Schönheit vorkommt. Der Zoo hat geschlossen, der Verkehr rauscht durch die Rushhour, mir klingeln die Ohren, mir kratzen die Bronchien und innerlich mutiere ich mit jeder Stunde mehr in Tirana zum Klimaschützer. Am künstlichen See spiegeln sich die aufflackerenden Laternen, in meinem Rücken taucht die untergehende Sonne die Stadt kurz in einen hübschen Glanz. Als ich mich wieder umdrehe, ist sie hinter den Bergen verschwunden und Tirana sieht wieder so aus, wie es aussieht: Fürchterlich farbenfroh und grausam grau. Als wären alle letzten Plätze der ost- wie westeuropäischen Architekturwettbewerbe hier realisiert worden. In meinem Rücken die Stadt, der röhrende Verlehr, irgendwie singt ein Muezzin sein klagend klingendes Lied durch die PS-Kakophonie, dazu flattert ein Spatz vom künstlichen See auf mich zu. Kurz lächle ich, schon schaue ich in die nächsten leeren, vorbeihastenden Augen. Der Muezzin verstummt, der Spatz fällt ohnmächtig ins Wasser und ich beschließe, ausschließlich durch kleine Straßen nach Hause zu finden.
Schließlich - na klar - verlaufe ich mich und lande doch in einem Bus, der nach meinen Informationen einfach nur im Kreis um die Innenstadt herumfährt und so auch meinen Stadtteil streift. Nach einer Weile fühle ich mich so sicher, dass ich mich völlig entspanne. Als ich das nächste Mal aus dem Fenster schaue, befinde ich mich wieder in der Innenstadt. Dieser Bus fährt zwar im Kreis, allerdings in einem deutlich kleineren als von mir erwartet. Bevor ich die Runde komplett mache, steige ich aus und stehe im strömenden Regen. Ich suche Schutz unter einer Markise vor einem neonröhrenblass beleuchteten blassen Raum, drinnen wird gegessen und Bier getrunken. Keine LEDs, keine Musik, kein Verweis auf paneuropäische Souvlaki- und Kebapkultur. Ich trete ein, man schaut vom Teller auf und schaut auf mich. Langsam bin ich es gewöhnt. Hinten im Raum ist eine kleine Durchreiche, dahinter die Küche. Kurz darauf lugt ein freundliches Gesicht hervor, ich rede etwas von mangiare und reibe mit den Bauch. Wenig später bekomme ich neben einem Korce - wirklich leckeres Bier - einen dampfenden Teller voll öliger Soße, Gemüse und einem Brocken Fleisch. Vom ersten Moment zergehe ich vor Glück. Endlich ein Eintopf. Gemeinsam mit den anderen Gästen und dem Wirt bekomme ich schließlich - ohne dass irgendjemand einen Brocken Sprache der anderen spricht - den Namen des Mahls heraus. Mish ne presh. Draußen glimmen die Leuchtreklamen und Rücklichter in Regenschlieren, drinnen bin ich endlich einmal vollends einverstanden mit Tirana. Ein Eintopf kann Wunder bewirken.